Wolf und Rabe

Eine ältere Geschichte, welche einst für ein Weihnachtsmärchenfamilienprojekt entstand.


Einst gab es eine Zeit in der es nur wenige Menschen auf der Erde gab und die Tiere frei überall leben konnten. Zu jener Zeit zog im späten Herbst, auch ein Rudel Wölfe durch die Welt, über Berge und Flüsse durch Wälder und Wiesen. Da gesellte sich ein Rabe zu ihnen. In einigem Abstand wartete er, beobachtete die Wölfe und folgte ihnen wohin sie auch gingen. Als die Wölfe ein Reh erlegt hatten kam der Rabe näher. "Liebe Wölfe, könnt ihr mir bitte ein Stück abgeben?" krächzte er. "Ich habe selbst nichts und mein Magen knurrt."
Die Wölfe schauten ihn missmutig an. Da trat der Anführer auf ihn zu:
"Nein. Wir haben selbst zu wenig und der Winter kommt." knurrte er, drehte sich um fraß mit den anderen Wölfen das Reh ganz auf.

Als sie weiter zogen fiel der erste Schnee und die Wölfe suchten lange nach etwas zu fressen. Allen knurrte der Magen, auch dem Raben, der sie weiter begleitete. Ratlos stöberten die Wölfe nach Beute, als der Rabe krächzte: "Hey Wölfe! Ich sehe von hier oben einen Bären. Dort lang!" und der Rabe flog voraus. Die Wölfe rissen den Bären nach einem langen Kampf und fraßen sich satt, da kam der Rabe
wieder zu ihnen und krächzte: "Liebe Wölfe, könnt ihr mir bitte ein Stück abgeben? Ich habe selbst Nichts und mein Magen knurrt."
Die Wölfe schauten ihn wieder missmutig an und der Anführer trat auf ihn zu: "Nein. Wir haben selbst zu wenig und der Winter ist längst über uns gekommen." knurrte er. 
Der Rabe guckte verdutzt: " Aber ich hab euch geholfen!" krächzte er aufgeregt. Der Anführer drehte sich aber nur um und fraß mit den anderen Wölfen den Bären ganz auf.

Und weiter zogen sie. Der Schnee fiel heftiger und Nachts zuckten sogar Blitze über den Himmel. Es wurde eisig kalt und alle Beute hatte sich an einem warmen Plätzchen versteckt. Wochenlang suchten die Wölfe ohne Erfolg, ihre Mägen
knurrten und die Ersten wurden schwach. Da blickte der Anführer der Wölfe zum Raben empor und knurrte: "Hey Rabe! Siehst du irgendwelche Beute für uns?" Der Rabe krächzte: "Aye, Beute seh ich wohl, doch verraten werde ich es euch nicht. Ihr gebt mir ja doch nichts ab."
Der Anführer knurrte wütend: "Dann werden wir dich fressen!"
Der Rabe krächzte lachend: "Du willst das Fliegen lernen?"
Da knurrte der Anführer wieder: "Dann wirst du auch sterben vor Hunger!"
Der Rabe krächzte schlau: "Nein. Ihr werdet verhungern und dann fresse ich eben von euch. Es ist mir egal. Ich bin ein Rabe, ich habe Zeit."
Da blickte der Anführer zu seinem Rudel hinter sich. Arm und hungrig sahen sie aus. Es konnte tatsächlich gut sein, dass sie verhungerten. E
r knurrte  zum Raben: "Gut, Rabe. Du wirst etwas abbekommen."
"Aye!" krächzte der Rabe. "Hier entlang! Es ist ein Elch."
Als die Beute gerissen war, machten die Wölfe Platz und ließen den Raben mit fressen. Nach und nach wurden es mehr Raben und dennoch war immer genug für alle da, so dass sie satt wurden.

Seit jenem Tage begleiten sich Wölfe und Raben stets und helfen einander

Die Nachtigall

Es war einmal ein König der lebte in einem bescheidenen Königreich und herrschte darüber. Seine Frau war vor einiger Zeit gestorben und seine Tochter lebte in einem anderen, ebenso bescheidenen Königreich, wo sie einen Prinzen geheiratet hatte. Ab und an kam sie den König besuchen, doch dies war selten. So kam es vor, dass der König sich manchmal einsam fühlte.
Eigentlich wollte er auch gar kein König sein. Er wollte schon immer ein Handwerker sein, von klein auf. Ein Schreiner, der aus Bäumen nützliche Gegenstände schaffen konnte, ein Schmied, der das Eisen zu wichtigen Werkzeugen formte, oder ein Steinmetz, ohne den es keine festen Behausungen geben würde. Er war jedoch zum König geboren und herrschte, gar nicht so erfolglos, über sein bescheidenes Land. Und man muss sagen, er hatte sich mit dem Regieren arrangiert.
Bei einem Spaziergang um die Mittagszeit geschah etwas Seltsames. Als der König mit seinem Ministerrat durch den kleinen Garten  flanierte, und sich Tagträumen hingab, erblickte er im Gras eine Nachtigall. Ihr Gefieder war zerzaust, aber schön von seiner Natur... ein wenig dunkler vielleicht, als man es von anderen Nachtigallen kannte. Ihre Augen waren wachsam, auch wenn sie ansonsten wirkte, als wäre sie tot. Als der König näher trat sah er, dass der kleine Vogel einen gebrochenen Flügel hatte. Er beugte sich hinab und versuchte den Vogel aufzuheben, da sprach sein Minister: "Mein Herr. Der Vogel ist krank. Ich kenne eure gutmütige Art, doch der Vogel wird nie wieder fliegen oder singen können. Lasst ihn im Gras zurück und schenkt den Katzen des Palastes ein zartes Mahl." Dem König war diese Vorstellung zuwieder. "Ich werde diesen Vogel mitnehmen und pflegen." sprach er. "Wir werden ja sehen, ob er wieder fliegen und singen wird." Und so behutsam er konnte trug er ihn in das Innere des kleinen Palastes und pflegte ihn selbst die nächsten Tage und Wochen. 
Der Vogel jedoch war wild, so wie die meisten Tiere, welche nicht an Menschen gewöhnt sind und bei jedem Wechsel des Verbandes pickte er den König, so dass dieser bald eine ständige kleine Wunde trug. Dieser fluchte oft über diese garstige Art ihm seine Gutmütigkeit zu vergelten, doch in seinem Herzen wusste er, dass der Vogel nicht anders konnte. So ließ der König  der Nachtigall eine Voliere bauen, recht prächtig für sein bescheidenes Köngsamt in dem der Vogel fortan ruhen sollte. Dieser schien zu genesen, doch weder flog noch sang er. Er lag nur auf dem Boden, pickte spärlich die Körner, welche der König ihm gab und tat sonst nichts. Der König ließ die besten Tierkundigen aus seinem bescheidenen Reich kommen und diese untersuchten den Vogel und gaben allerlei gute Ratschläge. Einer dieser Kundigen sprach dann zum König: "Herr, der Vogel ist krank. Ihn hält nichts mehr am Leben, kein Wille noch Mut. Sein Picken ist nur einer Notdurft gleich. Er glaubt sich selbst des Todes und mir scheint, sein Schnabel wird euch langsam vergiften, wenn er euch weiter hackt. Er wird nie fliegen oder singen können." Der König, der die Nachtigall liebgewonnen hatte wurde über die Worte des Tierkundigen wütend. "Was wisst ihr schon?" sprach er "Ihr bewertet ein Tier doch nur nach seinem Nutzen für den Menschen, nach der Milch, welche die Kuh gibt und dem Fleisch, welches das Schwein mit seinem Leben bezahlt. Ich werde mich um den Vogel kümmern und dann werden wir ja sehen, ob er jemals fliegen oder singen wird!"
Und so zogen etliche Monate dahin. Und es begab sich, dass die Nachtigall gar kein Korn mehr pickte, sondern nur noch ganz still da lag. Sein Flügel musste längst verheilt sein, doch noch immer schaute der König behutsam jeden Tag nach, ob er nicht etwas übersehen hatte. Jedes mal pickte die Nachtigall ihn wieder in die Hand, und der König bemerkte, dass die Nachtigall aus der kleinen Wunde in der Hand das Blut leckte. Und so brauchte der Vogel kein Korn mehr, sondern wurde von des Königs Hand gesäugt.
Jahre zogen dahin und nicht änderte sich, außer dass der König manchen Tag lang seine Pflichten vernachlässigte und nur die Nachtigall betrachtete, ja manchmal sogar mit dem Vogel sprach. Seine Untertanen freute dies zwar nicht, doch niemand wagte seinen Herrscher in seiner Vernarrtheit zu kränken, auch wenn ihnen der Vogel zuweilen unheimlich wurde. 
Und dann geschah es, dass der König alt, schwach und krank wurde. Seine Tochter und ihr Mann kamen nun häufiger um die Vereinigung ihrer Königreiche anzustreben, was dem alten König nur recht war, denn dieser konnte kaum noch sein Bett verlassen und aß auch nicht mehr gerne. Doch jeden Tag öffnete er die Voliere und hielt der Nachtigall seinen Finger hin, so dass diese sich an ihm laben konnte. Dies wurde die Tochter eines Tages gewahr und sie schickte sich an den Vogel wegzubringen. Da bäumte sich der König in seinem Bett auf: "Ich bin noch nicht tot und auch nicht im Kopf gestört, Tochter, als dass du mir mein Liebstes nehmen könntest!" Erschrocken über die Heftigkeit der Worte und die Stärke ihres Klanges, ließ die Tochter die Finger von der Voliere und blickte ihren Vater an. "Was ist dir dieser Vogel denn so lieb, Vater?" sprach sie. "Er macht dich nur schwächer, denn er labt sich von deinem Blut und Fleisch. Mir scheint du liebst ihn mehr als mich, oder Mutter. Nie wird er fliegen oder singen können!" Da lächelte der König und obwohl er viele Gedanken hatte, die er aussprechen wollte, sagte er nur ganz leise: "Das muss er auch nicht."
Der König starb noch in der selben Nacht und wurde, nach feierlichem Ritus, am nächsten Morgen bestattet. Neben den Stein, auf dem der Name des Königs stand, stellte man die Voliere mit der Nachtigall und so manchem Gast war es eine Genugtuung zu wissen, dass der Vogel nun auch bald sterben würde. 

Als alle Trauergäste gegangen waren, die Nacht hereinbrach und nur der leise Wind durch das Gras striff, stellte sich die Nachtigall auf ihre Füße und blickte sich um. Sie hüpfte zur Tür der Voliere und öffnete diese recht geschickt mit ihrem Schnabel, so dass sie nach draußen, und auf den Stein hüpfen konnte, auf dem der Name des Königs stand. Dort blickte sie sich noch einmal um und pickte in den Stein. Dann sang sie ein wunderschönes Lied, das Niemand hörte, voll Trauer und Liebe, Sehnsucht und Nähe, Freude und Schmerz. Als sie dieses beendet hatte, spreizte sie ihre Flügel und flog davon.