Irgendwann...

Du sitzt in der Lesung und während die Autoren aus ihren Werken vortragen entgleitest du den Worten. Du fängst an zu träumen und dann sind dort deine eigenen Ideen. Sie bilden sich in deinem Kopf... Szenen, Dialoge, Bilder... und in dir macht sich Mut breit. Mut es endlich zu wagen sich selbst dahinter zu klemmen. Mut seine eigenen Ideen auf Papier zu bringen. Mut den Selbstzweifel abzustreifen. Dir fallen die Leute ein, die an dich glauben und jene, die deine Zweifel fördern verblassen. Und obwohl du dich immer wieder versuchst auf die Autoren zu konzentrieren, ihnen zu Lauschen, die diesen Weg bereits gegangen sind, die diesen Mut aufgebracht haben, fängst du an an dich selbst zu glauben.


Dann ist die Lesung vorbei. Aufbruchsstimmung. Du gehst heim und mit jedem Schritt kommen die Alltagssorgen wieder und mit ihnen die Zweifel. Was muss ich opfern um meinen Traum zu leben? Komfort?
Mehr? Bis du zuhause ist fast Alles wie immer. Fast... Irgendwo, nahe dieses blutpumpenden Organs, da bleibt ein Gefühl. Und um dich selbst zu beruhigen glaubst du an dieses Gefühl. Das Gefühl dass du es schaffen kannst... irgendwann...

Wolf und Rabe

Eine ältere Geschichte, welche einst für ein Weihnachtsmärchenfamilienprojekt entstand.


Einst gab es eine Zeit in der es nur wenige Menschen auf der Erde gab und die Tiere frei überall leben konnten. Zu jener Zeit zog im späten Herbst, auch ein Rudel Wölfe durch die Welt, über Berge und Flüsse durch Wälder und Wiesen. Da gesellte sich ein Rabe zu ihnen. In einigem Abstand wartete er, beobachtete die Wölfe und folgte ihnen wohin sie auch gingen. Als die Wölfe ein Reh erlegt hatten kam der Rabe näher. "Liebe Wölfe, könnt ihr mir bitte ein Stück abgeben?" krächzte er. "Ich habe selbst nichts und mein Magen knurrt."
Die Wölfe schauten ihn missmutig an. Da trat der Anführer auf ihn zu:
"Nein. Wir haben selbst zu wenig und der Winter kommt." knurrte er, drehte sich um fraß mit den anderen Wölfen das Reh ganz auf.

Als sie weiter zogen fiel der erste Schnee und die Wölfe suchten lange nach etwas zu fressen. Allen knurrte der Magen, auch dem Raben, der sie weiter begleitete. Ratlos stöberten die Wölfe nach Beute, als der Rabe krächzte: "Hey Wölfe! Ich sehe von hier oben einen Bären. Dort lang!" und der Rabe flog voraus. Die Wölfe rissen den Bären nach einem langen Kampf und fraßen sich satt, da kam der Rabe
wieder zu ihnen und krächzte: "Liebe Wölfe, könnt ihr mir bitte ein Stück abgeben? Ich habe selbst Nichts und mein Magen knurrt."
Die Wölfe schauten ihn wieder missmutig an und der Anführer trat auf ihn zu: "Nein. Wir haben selbst zu wenig und der Winter ist längst über uns gekommen." knurrte er. 
Der Rabe guckte verdutzt: " Aber ich hab euch geholfen!" krächzte er aufgeregt. Der Anführer drehte sich aber nur um und fraß mit den anderen Wölfen den Bären ganz auf.

Und weiter zogen sie. Der Schnee fiel heftiger und Nachts zuckten sogar Blitze über den Himmel. Es wurde eisig kalt und alle Beute hatte sich an einem warmen Plätzchen versteckt. Wochenlang suchten die Wölfe ohne Erfolg, ihre Mägen
knurrten und die Ersten wurden schwach. Da blickte der Anführer der Wölfe zum Raben empor und knurrte: "Hey Rabe! Siehst du irgendwelche Beute für uns?" Der Rabe krächzte: "Aye, Beute seh ich wohl, doch verraten werde ich es euch nicht. Ihr gebt mir ja doch nichts ab."
Der Anführer knurrte wütend: "Dann werden wir dich fressen!"
Der Rabe krächzte lachend: "Du willst das Fliegen lernen?"
Da knurrte der Anführer wieder: "Dann wirst du auch sterben vor Hunger!"
Der Rabe krächzte schlau: "Nein. Ihr werdet verhungern und dann fresse ich eben von euch. Es ist mir egal. Ich bin ein Rabe, ich habe Zeit."
Da blickte der Anführer zu seinem Rudel hinter sich. Arm und hungrig sahen sie aus. Es konnte tatsächlich gut sein, dass sie verhungerten. E
r knurrte  zum Raben: "Gut, Rabe. Du wirst etwas abbekommen."
"Aye!" krächzte der Rabe. "Hier entlang! Es ist ein Elch."
Als die Beute gerissen war, machten die Wölfe Platz und ließen den Raben mit fressen. Nach und nach wurden es mehr Raben und dennoch war immer genug für alle da, so dass sie satt wurden.

Seit jenem Tage begleiten sich Wölfe und Raben stets und helfen einander

Die Nachtigall

Es war einmal ein König der lebte in einem bescheidenen Königreich und herrschte darüber. Seine Frau war vor einiger Zeit gestorben und seine Tochter lebte in einem anderen, ebenso bescheidenen Königreich, wo sie einen Prinzen geheiratet hatte. Ab und an kam sie den König besuchen, doch dies war selten. So kam es vor, dass der König sich manchmal einsam fühlte.
Eigentlich wollte er auch gar kein König sein. Er wollte schon immer ein Handwerker sein, von klein auf. Ein Schreiner, der aus Bäumen nützliche Gegenstände schaffen konnte, ein Schmied, der das Eisen zu wichtigen Werkzeugen formte, oder ein Steinmetz, ohne den es keine festen Behausungen geben würde. Er war jedoch zum König geboren und herrschte, gar nicht so erfolglos, über sein bescheidenes Land. Und man muss sagen, er hatte sich mit dem Regieren arrangiert.
Bei einem Spaziergang um die Mittagszeit geschah etwas Seltsames. Als der König mit seinem Ministerrat durch den kleinen Garten  flanierte, und sich Tagträumen hingab, erblickte er im Gras eine Nachtigall. Ihr Gefieder war zerzaust, aber schön von seiner Natur... ein wenig dunkler vielleicht, als man es von anderen Nachtigallen kannte. Ihre Augen waren wachsam, auch wenn sie ansonsten wirkte, als wäre sie tot. Als der König näher trat sah er, dass der kleine Vogel einen gebrochenen Flügel hatte. Er beugte sich hinab und versuchte den Vogel aufzuheben, da sprach sein Minister: "Mein Herr. Der Vogel ist krank. Ich kenne eure gutmütige Art, doch der Vogel wird nie wieder fliegen oder singen können. Lasst ihn im Gras zurück und schenkt den Katzen des Palastes ein zartes Mahl." Dem König war diese Vorstellung zuwieder. "Ich werde diesen Vogel mitnehmen und pflegen." sprach er. "Wir werden ja sehen, ob er wieder fliegen und singen wird." Und so behutsam er konnte trug er ihn in das Innere des kleinen Palastes und pflegte ihn selbst die nächsten Tage und Wochen. 
Der Vogel jedoch war wild, so wie die meisten Tiere, welche nicht an Menschen gewöhnt sind und bei jedem Wechsel des Verbandes pickte er den König, so dass dieser bald eine ständige kleine Wunde trug. Dieser fluchte oft über diese garstige Art ihm seine Gutmütigkeit zu vergelten, doch in seinem Herzen wusste er, dass der Vogel nicht anders konnte. So ließ der König  der Nachtigall eine Voliere bauen, recht prächtig für sein bescheidenes Köngsamt in dem der Vogel fortan ruhen sollte. Dieser schien zu genesen, doch weder flog noch sang er. Er lag nur auf dem Boden, pickte spärlich die Körner, welche der König ihm gab und tat sonst nichts. Der König ließ die besten Tierkundigen aus seinem bescheidenen Reich kommen und diese untersuchten den Vogel und gaben allerlei gute Ratschläge. Einer dieser Kundigen sprach dann zum König: "Herr, der Vogel ist krank. Ihn hält nichts mehr am Leben, kein Wille noch Mut. Sein Picken ist nur einer Notdurft gleich. Er glaubt sich selbst des Todes und mir scheint, sein Schnabel wird euch langsam vergiften, wenn er euch weiter hackt. Er wird nie fliegen oder singen können." Der König, der die Nachtigall liebgewonnen hatte wurde über die Worte des Tierkundigen wütend. "Was wisst ihr schon?" sprach er "Ihr bewertet ein Tier doch nur nach seinem Nutzen für den Menschen, nach der Milch, welche die Kuh gibt und dem Fleisch, welches das Schwein mit seinem Leben bezahlt. Ich werde mich um den Vogel kümmern und dann werden wir ja sehen, ob er jemals fliegen oder singen wird!"
Und so zogen etliche Monate dahin. Und es begab sich, dass die Nachtigall gar kein Korn mehr pickte, sondern nur noch ganz still da lag. Sein Flügel musste längst verheilt sein, doch noch immer schaute der König behutsam jeden Tag nach, ob er nicht etwas übersehen hatte. Jedes mal pickte die Nachtigall ihn wieder in die Hand, und der König bemerkte, dass die Nachtigall aus der kleinen Wunde in der Hand das Blut leckte. Und so brauchte der Vogel kein Korn mehr, sondern wurde von des Königs Hand gesäugt.
Jahre zogen dahin und nicht änderte sich, außer dass der König manchen Tag lang seine Pflichten vernachlässigte und nur die Nachtigall betrachtete, ja manchmal sogar mit dem Vogel sprach. Seine Untertanen freute dies zwar nicht, doch niemand wagte seinen Herrscher in seiner Vernarrtheit zu kränken, auch wenn ihnen der Vogel zuweilen unheimlich wurde. 
Und dann geschah es, dass der König alt, schwach und krank wurde. Seine Tochter und ihr Mann kamen nun häufiger um die Vereinigung ihrer Königreiche anzustreben, was dem alten König nur recht war, denn dieser konnte kaum noch sein Bett verlassen und aß auch nicht mehr gerne. Doch jeden Tag öffnete er die Voliere und hielt der Nachtigall seinen Finger hin, so dass diese sich an ihm laben konnte. Dies wurde die Tochter eines Tages gewahr und sie schickte sich an den Vogel wegzubringen. Da bäumte sich der König in seinem Bett auf: "Ich bin noch nicht tot und auch nicht im Kopf gestört, Tochter, als dass du mir mein Liebstes nehmen könntest!" Erschrocken über die Heftigkeit der Worte und die Stärke ihres Klanges, ließ die Tochter die Finger von der Voliere und blickte ihren Vater an. "Was ist dir dieser Vogel denn so lieb, Vater?" sprach sie. "Er macht dich nur schwächer, denn er labt sich von deinem Blut und Fleisch. Mir scheint du liebst ihn mehr als mich, oder Mutter. Nie wird er fliegen oder singen können!" Da lächelte der König und obwohl er viele Gedanken hatte, die er aussprechen wollte, sagte er nur ganz leise: "Das muss er auch nicht."
Der König starb noch in der selben Nacht und wurde, nach feierlichem Ritus, am nächsten Morgen bestattet. Neben den Stein, auf dem der Name des Königs stand, stellte man die Voliere mit der Nachtigall und so manchem Gast war es eine Genugtuung zu wissen, dass der Vogel nun auch bald sterben würde. 

Als alle Trauergäste gegangen waren, die Nacht hereinbrach und nur der leise Wind durch das Gras striff, stellte sich die Nachtigall auf ihre Füße und blickte sich um. Sie hüpfte zur Tür der Voliere und öffnete diese recht geschickt mit ihrem Schnabel, so dass sie nach draußen, und auf den Stein hüpfen konnte, auf dem der Name des Königs stand. Dort blickte sie sich noch einmal um und pickte in den Stein. Dann sang sie ein wunderschönes Lied, das Niemand hörte, voll Trauer und Liebe, Sehnsucht und Nähe, Freude und Schmerz. Als sie dieses beendet hatte, spreizte sie ihre Flügel und flog davon.

Der Wecker, der Kaffee und alles andere...

Der Wecker klingelt. Ich stehe auf und schäle mich aus dem Zelt. Den klingelnden Wecker nehme ich mit und mache einen Spaziergang zwischen den Zeltreihen... Ich soll nicht der Einzige sein der aufwacht. Der Kaffee vom Tross ist die letzte Ruhe am Morgen. Anziehen, Waffen kontrollieren, meine Männer und Frauen sammeln und losmarschieren. Ich diene meinem Herrn und meine Männer und Frauen dienen mir. Wir ziehen gemeinsam in die Schlacht mit Wut, Disziplin und Blut auf den Lippen. glorreich...

Der Wecker klingelt. Ich stehe auf und koche mir meinen Kaffee... schnell soziale Netzwerke kontrollieren, Klamotten anziehen, Müsli, Fahrrad. Die Schule ist noch nicht sehr voll. Es ist der erste Schultag. Ich sortiere Bücher an die richtige Stelle, schreibe Lehrer an, sitze am Computer, lese, denke. Ein paar Jungs zocken an den Rechergerechnern... alte Bekannte. Ich warte darauf Hunger zu bekommen... er bleibt aus...
Morgen oder nächste Woche wird mir jemand sagen, dass ich einen guten Job mache... vielleicht auch erst nächsten Monat.

Der Wecker klingelt nicht. Meine Tochter kuschelt sich im Bett an mich. Sie ist wach, ich könnte noch eine ganze Weile schlafen. Sie gewinnt den "Kampf", wie gewöhnlich... etwas in mir freut sich sogar darüber. Ich stehe auf und koche Kaffee, mehr als sonst. Sie darf einen Film guck'n ich mache Pfannkuchen. Wir essen nicht alle. Ein paar nehmen wir mit in den Zoo. Wir tollen herum, ich lese ihr vor, wir diskutieren über Eis, Eisenbahnfahrten oder etwas anderes... es ist schön und wir fallen müde ins Bett, jeder in sein eigenes... 

Der Wecker klingelt nicht. Ich kann nicht mehr schlafen, weil dieser Rhythmus bei mir drin ist. Ich betrachte Sie neben mir, aber nicht zu lange... Sie würde erwachen wenn ich Sie zu lange anstarre. Vorsichtig stehe ich auf und koche Kaffee, mehr als sonst... eine Tasse für Sie mit. Dann gehe ich an den Computer, bis Sie erwacht. Sie ist ein Morgenmuffel aber versucht zu lächeln... für mich. Dann erleben wir Abenteuer, Spaziergänge, den traurigen See, einen wackeligen Steg auf einem Fluss, einen Kuss, Musik... und lieben uns leidenschaftlich.

Der Wecker klingelt alptraumhaft. Ich stehe auf und suche den Zeltausgang. Den Wecker nehme ich mit, doch er verstummt als der Stecker aus der Steckdose gleitet. Ich koche Kaffee, weiß nicht wieviel und räume Bücher in Regale, die ich nicht zu lange anstarre, damit sie nicht wach werden. Dann nehme ich mein Schwert und gehe in den Zoo, suche meine Tochter im traurigen See, suche Sie hinter den Gittern wie Sie lächelt... nur für mich mit Wut, Disziplin und Blut auf den Lippen.
Ich stolpere und möchte nicht wieder aufstehen... wer werde ich diesmal sein?

Die Frage nach der Zukunft...

Die Frage nach der Zukunft ist wie eine Katze.

Sie liegt faul in einer gemütlichen Ecke der Wohnung herum und die meiste Zeit könnte man meinen, sie wäre gar nicht da. Natürlich weiß man insgeheim dass sie immer da ist. Man Füttert sie, man macht ihren Dreck weg... Aber bewusst ist sie einem nicht immer. Manchmal versteckt sie sich auch tagelang im Schatten einer Gardine, in einem Karton oder unter dem Bett, so dass man sie gar nicht zu Gesicht
bekommt. Man vergisst, dass ihre grünen Augen einem folgen wohin man auch geht.

Und dann? Dann legt man sich hin und will schlafen. Da wird die Katze wach. Sie schleicht sich an das Bett heran und fängt an mit deiner Nase zu spielen, sie räkelt sich über dein Gesicht oder langt mit ihren Krallen unter die Decke um deine Zehen zu jagen. Dann liegst du wach, obwohl du dich gerade wirklich überhaupt nicht mit der Katze beschäftigen wolltest. Du stehst auf, schmeißt sie aus dem Zimmer, aber sie springt an die Türklinke und ist wieder drin, dabei will man doch nur den Moment genießen, ohne nach dem Morgen zu fragen.

Ich bin so froh, dass du mir die Katze nicht vorgestellt hast.
Was hätte ich antworten können?

Es wird alles zu Staub werden, egal ob Gefühl, Traum oder Mensch?
Wichtig ist mir aber nicht der Staub, sondern der Moment in dem man vergisst, dass alles zu Staub werden wird... jeder Einzelne... immer und immer wieder?

Ja... vielleicht hätte ich das...

Angel

Ich hatte es ihr gezeigt. Die Technik war eigentlich ganz einfach. Mit der Klinge musste man zwischen der dritten und vierten Rippe eindringen, dann würde es nicht zu einer so großen Sauerei kommen. Die Lunge würde ineinanderfallen, unfähig sich mit Luft zu füllen. Es war so eine Art Schockreflex den der Körper hatte, wodurch die Blutung minimal sein würde... zumindest nach außen. Durch den Unterdruck des Zusammenziehens würde das Blut nach innen fließen. Der Tod trat in diesem Fall durch Ersticken ein. Es gab angenehmere Tode. Ich zeigte ihr, wie sie das Messer mit beiden Händen halten müsste, damit sie sich nicht schneidet, eine Handfläche auf den Knauf. Von der Hand musste auch der Druck kommen, damit man es schaffen würde Haut und Fleisch zu durchdringen. Wer hat schon einen militärischen Dolch mit Parierstange in seiner Küchenschublade... aber ein gutes Schneidemesser hat tatsächlich Jeder. 
Sie nickte und ihre schwarzen Haare umflossen ihr Gesicht. Ihre großen dunklen Augen versuchten die Angst zu verbergen... sehr gut sogar. Ich ging zu meinem Bett und zog mein Hemd aus. Aus dem Computer klang "Of the Wand and the moon". Langsam lies ich mich auf das Bett sinken. Sie betrachtete mich, das Messer in der Hand und ich hoffte, dass es scharf genug wäre. Ich musste schmunzeln... sie schien aufgeregter zu sein als ich. Ihre zierliche Gestalt, ihr schwarzes Kleid... die Erinnerung an die letzte Nacht kleideten sie, umrahmten sie wie eine Aura dunkler Farben, weich wie ein Sonnenuntergang. Ich legte mich hin und schloss die Augen. Fast tat es mir ein wenig leid ihr diese Bürde aufzutragen, aber ich war zu feige und sie war neugierig... Wollte ich wirklich sterben?

Sie hatte es geschafft, dass man keinen Schritt hörte, als wäre sie zum Bett geschwebt. Der Stich war schnell und tief... mein Körper reagierte sofort. Die Muskeln verkrampften sich unkontrolliert, ein Schütteln erfasste den Körper. Ich versuchte zu atmen, aber es war nicht möglich, als wäre ich vollständig gelähmt. Mein Blick begegnete kurz ihrem Antlitz. Sie war so schön. Langsam setzte sie sich neben mich und legte eine Hand auf meine Wange. Mein Körper bäumte sich auf, kämpfte wie ein wildes Tier, doch sie blieb ruhig sitzen. Zeit dehnte sich, bekam eine andere Bedeutung, weder langsamer noch schneller... unendlich... unnahbar... transzendent... dann wurde es dunkler und meine Muskeln wurden schwer. Ihr Gesicht kam näher an meines. Es fiel mir schwer meine Augen auf sie zu richten, dann sah ich sie lächeln, nicht fröhlich, aber voll mildem Stolz und mitfühlend, während eine einzelne Träne über ihre Wange rann. Hatte ich ihr Leben zerstört? 
Ich sah nicht mehr wie sie sich zu mir herunterbeugte, spürte nur weit entfernt ihre Lippen auf meinen, dann war ich fort...

zwischen meinem Lacken und der Decke...

Ich wälze mich in meinem Bett von der einen Seite auf die andere. Es ist fünf Uhr nachmittags und Irgendjemand hatte wieder an der Tür geklingelt. Augenscheinlich wollen sie wissen was los ist mit mir. Vielleicht weil ich die Rechnungen nicht gezahlt habe, vielleicht weil sie die Wohnung räumen wollen... Ich höre wie ein Schlüssel in das Schloss geschoben wird. Nur mein Bruder hat einen Schlüssel für die Wohnung... und die Hausverwaltung? In mir steigt die Erinnerung empor, dass mein Schlüssel von innen steckt. Sie werden mich nicht zurückholen. Die Realität ist Geschichte. Mein Universum ist zwischen meinem Lacken und der Decke. Hier liege ich. Zeit ist irrelevant. Die Erinnerung an die Realität treibt mir Tränen in die Augen. Ich kämpfe die Tränen nieder. Bald kommt der Schlaf wieder... der heilende, traumlose Schlaf. Die Realität ist der Alptraum. Ich nehme eine Tablette.

Sie hatte einfach aufgehört zu atmen. Ihr kleiner Körper war blau angelaufen gewesen, als ich versucht hatte sie zu wecken. Irgendwann in der Nacht muss es geschehen sein. Meine Tochter war gestorben.
Sie machten mich alle für ihren Tod verantwortlich. Jede einzelne Person die ich kannte war mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt und fand keinen anderen Ausweg als einen Schuldigen zu suchen. "Warum hast du auch wieder angefangen zu rauchen? Deine Verantwortungslosigkeit hat sie umgebracht! Du hast sie getötet!
Ja, die Ärzte sagten etwas anderes. Ich hatte nicht in der Wohnung geraucht, war sogar zwei Stockwerke nach unten gegangen, vor die Haustür. Aber wer kümmerte sich schon um die Aussage von Ärzten? Menschen erzählten Menschen was sie dachten, was sie fühlten. Menschen manipulierten Menschen. Logik ist irrelevant. Wahrheit ist irrelevant.
Und ich? Wenn ich nur nicht so fest geschlafen hätte... Wenn ich einfach im Schlaf hochgeschreckt wäre... Wenn ich etwas gehört hätte... Irgendetwas. 

Schritte auf der Treppe. Sie gehen. Die Tablette beruhigt mich augenblicklich, lässt mich hineinsinken in meinen traumlosen Schlaf, lässt mich den Schmutz zwischen meinen Beinen nicht mehr spüren. Bald würde ich keine Tabletten mehr nötig haben. Bald würde ich nicht mehr aufwachen. Bald würde ich frei sein.